Religiöses Buch des Monats Mai 2025
Reinhard Marx, Kult. Warum die Zukunft des Christentums uns alle angeht, Kösel, München 2025, ISBN 9783466373390, 176 Seiten, 20,00 €
"Christentum ist Kult!" Wer würde solch einer Aussage heute noch zustimmen - in einer Zeit, da Kirchen, Konfessionen und religiöser Glaube in der Gesellschaft rapide an Bedeutung und Ansehen verlieren?
Natürlich ist der Münchner Erzbischof Reinhard Marx kein Realitätsverweigerer; vielmehr benutzt er bewusst die Doppeldeutigkeit des Begriffes "Kult", um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Gerade in einer Zeit des scheinbar unvermeidlichen Niedergangs der christlichen Kirchen in Deutschland möchte Kardinal Marx dennoch an der grundsätzlichen Zuversicht festhalten, dass das Christentum auch in einer quantitativ reduzierten und vielleicht veränderten Gestalt seine große Bedeutung für die hiesige Gesellschaft, ja die ganze Welt bewahren kann. Denn es ist in seinem Wesenskern nicht nur eine Weltanschauung, eine besondere Ethik oder eine einzigartige mystische Erfahrung, sondern eben: Kult.
Das Gegenteil von Weltflucht
Der Begriff "Kult" steht in der Religionsgeschichte für die Versuche des Menschen, zu Gott in Beziehung zu treten. Das Christentum geht davon aus, dass in Jesus Christus Gott selbst Mensch geworden ist; die Begegnung mit Jesus ist also das alles Entscheidende. Sie war aber nicht nur für Jesu Zeitgenossen möglich, sondern auch nach seinem Sterben und seiner Auferstehung für alle Menschen - in der Feier der Eucharistie, in der die Hingabe Jesu am Kreuz nicht nur erinnert, sondern gegenwärtig wird. "Das bezeichne ich im engeren Sinn mit dem Wort Kult: ein Mahl, in dem das Leben, Sterben und Auferstehen Jesu von Nazareth ... gefeiert und damit in die jeweilige Mitte und Gegenwart hineingeholt und gegenwärtig wird."
Die Feier des Gottesdienstes, insbesondere der Eucharistie, ist für das Christentum der Wesenskern. Aber ist das nicht Weltflucht und Rückzug in die Innerlichkeit, die Bedeutung der Gottesdienstfeier so hervorzuheben? Im Gegenteil: "Von Anfang an durchbricht diese Gemeinschaft Grenzen von Kultur, Sprache, Herkunft, Geschlecht. Die Begegnung mit dem geheimnisvollen Gott ... hat Auswirkungen auf das Miteinander der Menschen und auf die konkrete Praxis ihres Lebens."
Die Eucharistiefeier schafft eine neue Gemeinschaft der Menschen untereinander - und sie ist zugleich Sendung in die Welt, um die Frohe Botschaft zu allen Menschen zu bringen. Was der Kult in dieser Weise für die Menschen leistet - den Alltag zu unterbrechen und ihm eine völlig andere Perspektive einer befreienden Erlösung zu geben, die für alle Menschen gilt - vermag nichts und niemand anderes zu leisten.
Wertvoller Beitrag
Diese Überlegungen von Kardinal Marx sind alles andere als eine binnentheologische Selbstberuhigung und schon gar nicht weltfremdes Wunschdenken. Vielmehr sind sie gerade im selbstkritischen Ringen um den richtigen Weg der Kirche in die Zukunft angesichts der enormen Austrittszahlen und in der Auseinandersetzung mit soziologischen und religionsphilosophischen Positionen entstanden, wie sie etwa Hartmut Rosa oder Jürgen Habermas vertreten. Dahinter steht die tiefe Überzeugung, dass die Religion der Gesellschaft Wesentliches zu geben hat - nicht nur die Hinwendung zur Transzendenz, sondern auch eine Horizonterweiterung im Hinblick auf die Gemeinschaft der Menschen untereinander.
Dieses Wissen um die Unverzichtbarkeit der Religion führt keineswegs zu Überheblichkeit - zu gut weiß der Autor um die Schwächen der Kirche, wie sie gerade der Missbrauchsskandal zu Tage treten ließ. Vielmehr führt dieses Wissen zu einem realistischen Bewusstsein des eigenen Wertes. Denn dieser wird nicht von der Kirche selbst produziert, sondern von Gott geschenkt - aber nicht allein der Kirche, sondern durch diese allen Menschen. Gerade um ihren Auftrag für die Welt zu erfüllen, muss sich die Kirche darum wieder stärker auf ihren Wesenskern besinnen. Dazu kann dieses Buch mit seiner überzeugenden zentralen Aussage und vielen weiterführenden Anregungen einen wertvollen Beitrag leisten.
(Sankt Michaelsbund)
Das „Religiöse Buch des Monats“ wird seit dem Jahr 2000 von den beiden katholischen Büchereiverbänden in Deutschland, dem Sankt Michaelsbund (für Bayern) und dem Borromäusverein (außerhalb Bayerns) ausgewählt. Das Anliegen der Auszeichnung ist es, Bücher zum Thema Religion und Glauben in ihrer Bandbreite bekannter zu machen. Dazu wählen die Lektorate monatlich ein Buch aus, das aus Sicht des christlichen Glaubens ein grundlegendes Thema aufgreift wie Orientierung und Sinn im Leben, Gemeinschaft, gesellschaftliche Verantwortung. Diese Bücher geben Rat in verschiedenen Lebenssituationen, greifen Lebensschicksale auf, regen an, das Leben und den Jahreskreis bewusst zu gestalten oder tragen zu gesellschaftlichen und kirchlichen Debatten bei. Die Bücher erreichen so Menschen, die sich Fragen der Gesellschaft und den eigenen biografischen Herausforderungen bewusst stellen wollen und diese Fragen im Licht des religiösen Glaubens reflektieren und vertiefen.
Verlage und Buchhandlungen können einen Newsletter sowie Werbematerialien kostenlos bestellen und als verkaufsfördernde Maßnahme in der Buchhandlung oder auf ihrer Homepage einsetzen.
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